Hanne Römer
DATUM PEAK – Eine Expedition
ISBN: 978-3-85415-670-3128 Seiten, brosch., erschienen 2024
Mit Grafiken der Autorin
Im Zentrum von DATUM PEAK steht ein Natur-Blick, der sich selbst in unvereinbaren Widersprüchen wahrnimmt, die existenziellen Belange einer Forscherin ebenso fokussiert wie die damit verbundene Doppelachse ihres Schreibens und Zeichnens. Beobachtungen der Fauna von der Ameise bis zum Biber, Ereignisse von Expeditionen treten über die Koordinaten vertrauter Logik hinaus, erzeugen phantastische Koinzidenzen und treiben im Sprachspiel, etwa um die mysteriöse Wesenheit „Bonsai Salami“, Blüten. Hanne Römer folgt ihrer unter dem Label „.aufzeichnensysteme“ errichteten Systematik, Material eigener Schriften, Journale und Notizen korrespondierend in Kontakt treten zu lassen. Sind es in ihrer zuvor publizierten „Trilogie einer Kompression“ Einzelwörter und reduzierteste Syntagmen, die den Ausgangstexten entnommen werden, verschneidet die Autorin in DATUM PEAK nun längere Textabschnitte derselben Quellen miteinander und lässt aus Erzählkeimen narrative Arrangements sprießen. Im vorliegenden ersten Teil ihres Projekts einer Entfaltung gelingt es Hanne Römer auf überzeugende Weise, strukturell wie inhaltlich in der Natur beobachtete Prinzipien in poetische Prozesse zu transformieren: Naturpoesie im wahren Sinn des Wortes!
„… unter gewaltigen Butterblumen, schwellen sie an, quillen weich und elastisch hervor, zwischen ihren zu Stümpfen erstarrten Kürzungen, hinein in die ihnen zugedachte, endlich zuwachsende Szenerie. Die Trilogie einer Kompression kippt in ihre Entfaltung, bringt die Forschenden in Erscheinung mit einem Kunstgriff, in zyklischem Rückbezug auf IM GRÜNEN, wo sie unsichtbar keimten. Einstweilen namenlos, schwärmen sie mächtig aus. Ihr mikrokosmisch „tickender“ Blick entwirft eine schutzbedürftige Schöpfung, generiert im Rahmen eigener existenzieller Limitierung bescheidene aber engagierte Ansätze guerillataktischer bis fantastischer Bewältigungen von Störungen, Lärm- und Gesamtverschmutzung. Im Gestrüpp allerdings lauert Bonsai Salami, eine Wesenheit, die einen das Sprachliche beherrschenden Gegenblick konsolidiert: „Das ist die Schöpfung.“ – „Nach der Erschöpfung?“ – „Dem Auge der Zecke entgeht nichts.“ – „Das wird Folgen haben.“ Teil 1 schießt als episodischer Roman ins Kraut und treibt neue Nährstoffe ins Kunstwerk der .aufzeichnensysteme und seines Publikums, jetzt …“ Widerstand als Verweigerung in Form anderer Wege, verdichtete Anspielungen auf politische und gesellschaftliche Themen – Hochwasser, Umweltverschmutzung, Wohnungsnot, Tierleid, Klimakrise, digitale Zwänge, prekäre künstler. Existenz – wirken, zugespitzt im Blick der „Forschenden“, stark unterschwellig, für Lesende spürbar gesetzt als eine Art unregelmäßig punktierendes, stichelndes Nagelbrett, andauernde schmerzliche Widerhaken, tatkräftig bewältigt oder mit sanfter Ironie registriert, identifiziert, desinfiziert, bestehen bleibend – die Realisierung von Schmerz als Widerstand, ein beständiger Ton schmerzlich realisierter Klarheit … „Bonsai Salami“, die „gute“ Wesenheit, allerdings gesellschaftlich „misfits“ funkt dazwischen, spielt verrückt, agiert die angestaute Energie aus, vergreift sich im Tonfall, ungestüm, jäh, stürzt die Dinge um, stellt sie auf den Kopf, auch die Forschenden und so vielleicht wieder richtig …
„Datum schiebt sein Fleisch zurück zwischen die Rippen eines früheren Leibes. In Etappen dringt Eis in die Spalten früherer Berge, eigentlich Meeresgründe, eigentlich Berge und wieder Meeresgründe, eigentlich hoch, eigentlich tief, im Wechsel, abnehmend, zunehmend und immer so weiter. Entwachsen kommt Fülle, flutet, formt, festigt Gesetztes. Die alte Ordnung ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. Sie wissen nicht, wo es hinführt. Aber indem sie dort, wo sie gerade sind, mit ihr arbeiten, sie immer weiter umarbeiten, entsteht langsam eine neue Struktur. Sie tauchen wieder auf. Durch einen Kunstgriff. (…)“
Hanne Römer eignet sich und uns unter Verwendung des Bezugsraumes Natur Sprache neu an und kommt damit zu ungeahnten Wirkungsweisen.
Marcus Neuert (Literaturhaus Wien – literaturhaus-wien.at)
In der künstlerischen Arbeit von Hanne Römer sind selbstreferenzielle Strukturen ein zentrales Mittel der Erkenntnis darüber, wie wir mittels Sprache Welt hervorbringen. (…) Zu dieser Sprach-Expedition gehört es auch, abseits der Hauptströmungen von Narration zu einer Form des Erzählens zu finden. (…) Orientierungsmuster werden auf die Probe gestellt: Die erzählten Räume muten wie Stauchungen, Zusammenballungen von Weltpartikeln an (…). Die beiden grundlegenden Verfahren, denen diese Forschungsreise gilt ‒ die Auffaltung und die Enthierarchisierung des Materials ‒ treffen sich in einer Kritik am menschlichen Expansionsstreben, das ungeachtet seiner verheerenden Auswirkungen dem Gesetz der Stärkeren frönt.
Annalena Stabauer (Literatur und Kritik)