Dieter Sperl
AN SO VIELE WIE MICH – Traumnotizen
ISBN: 978-3-85415-641-3200 Seiten, brosch., zahlr. S/W-Abb., erschienen 2022
Den Ausgangspunkt von Dieter Sperls „Halbschlafgeschichten“ bilden Notizen, die der Autor – meist noch in der Nacht – unmittelbar nach dem Aufwachen aufzeichnete. Erweitert lediglich um funktionale Erzählelemente dient solches Material als Stoff für Geschichten, in denen Realien oder aus Medien Aufgeschnapptes ins Fantastisch-Surreale verrückt erscheinen. Wir lesen von einem Donald Trump, der aus der Hand serviert, wie einst der Tennisstar Michael Chang oder von einem Christian Steinbacher, der fünfzehn Gedicht-Fichten im Garten
anpflanzt. Wir finden Jean Paul Belmondo als Steinfigur am Lenkrad in einem Wagen im Kärntner Lavanttal, erfreuen uns an einem Suppeneinlagenmix aus Grießnockerl und Leberknödel oder wir erfahren von der Idee, eine Textarmee zu gründen, um Österreich von schlechter Literatur zu befreien. Über die Aufzeichnung gelangt Sperl zu einer Art
objektivierender Selbstbeobachtung und im Bewusstsein, alle und alles in seinen Träumen Auftauchende zugleich sein zu können, schließt er an die von ihm in früheren Büchern erprobten Konzepte erweiterter Biographie bzw. der Darstellung eines entgrenzten All-Bewusstseins an.
Im dichterischen Nachvollzug individueller Traum-Emergenzen kreiert Dieter Sperl ein waches und bewegliches Modell gesellschaftlicher Projektionen heute.
Wie meinte vor mehr als 240 Jahren Georg Christoph Lichtenberg, als Physik-Ordinarius wie als Autor ein Multiversum, und dabei nur etwas über 1,40 Meter klein? „Ich mag“, schrieb er in einer seiner wuchernden Aufzeichnungen, die er als „Sudelbücher“ titulierte, „immer den Mann mehr lieben, der so schreibt, wie es Mode werden kann, als den, der so schreibt, wie es Mode ist.“ Ein Satz, der hierzulande auf kaum jemanden so sehr passt wie auf den ungebärdig träumenden Dieter Sperl. (Alexander Kluy, Der Standard)
„An so viele wie mich“ ist ausgezeichnete Literatur, die den Lesenden immer in Unsicherheit lässt. Mit größtem Vergnügen folgt man dem aus Kärnten stammenden Schriftsteller bei seinen traumhaften Streifzügen. (Michaela Monschein, ORF)
Es macht den Reiz dieser Lektüre aus, dass wir als Leser:innen mit dem Autor mitträumen. Und wir mit Dieter Sperl nicht sicher sein können, auf welchem Boden wir stehen; wer dieses Ich tatsächlich ist…
(Friedrich Hahn, Literaturhaus Wien)
Die „Traumnotizen“ fügen sich nahtlos an Sperls Vorgängerwerke, in denen er unter anderem mit der Form des Tagebuchs, mit Erinnerungen und Assoziationen experimentiert, und weisen ihn einmal mehr als einen der bedeutendsten österreichischen Sprachkünstler aus.
(Erwin Uhrmann, Die Presse)
Diese geheimnislosen Traumtexte – bisweilen kondensiert auf ein Wort wie „Mistel-Esche“ oder „Gedankenschaumgebirge“ – lassen an ZEN-Erfahrungen denken. Und ähnlich einem ZEN-Meister, der nach Jahrzehnten der Meditation und Askese seinen Schülern scheinbar einfache, manchmal auch handgreifliche Lektionen verabreicht, bietet der Autor den Lesern scheinbar absichtslos seine geträumten Erlebnisse. Der Leser legt diese Reisenotizen aus dem Halbschlaf so widerwillig aus der Hand, wie man eine Reise gezwungenermaßen abbricht. Hat Sperl mit seinen „Traumnotizen“ womöglich den ersten Pageturner der avantgardistischen Literatur Österreichs geschrieben? (Wilhelm Hengstler, Wespennest)
Stell dir eine zimmergroße Kiste vor, darin sind lauter Scharniere eingelagert. Wenn du sie einzeln verwendest, kannst du alles damit beweglich und mehrdeutig gestalten. Dieter Sperl verschenkt eine ganze Charge solcher Scharniere, er nennt sie Traumnotizen und es geht um diese bewegliche Naht zwischen Traum- und Tages-Wirklichkeit. „An so viele wie mich“ eignet sich bestens als Titel, denn diese Fügung lässt sich vorne und hinten ausbauen zu einem multiplen Ereignis.
(Helmut Schönauer)